Alles, was wir geben mussten von Kazuo Ishiguro. Dieses Buch lässt einen tagelang nicht los. Nicht weil darin so viele krasse Dinge passieren, sondern weil sie eben nicht passieren.

Kazuo Ishiguro, 1954 geboren, britischer Schauspieler japanischer Herkunft

Ein Speisesaal, ein Sportplatz und getrennte Schlafsäle für Jungen und Mädchen – auf den ersten Blick scheint Hailsham ein ganz gewöhnliches Internat zu sein. Aber die Lehrer, so freundlich und engagiert sie auch sind, heißen hier „Wächter“ und lassen die Kinder früh spüren, dass ihnen ein besonderes Schicksal auferlegt worden ist. Diese Gewissheit verbindet Kathy, Ruth und Tommy durch alle Stürme der Pubertät und Verwirrungen der Liebe – bis für zwei von ihnen das Ende naht.


Burkhard Müller ist von diesem Roman des japanischen Autors Kazuo Ishiguro ziemlich beeindruckt. Es geht um ein Internat, in denen menschliche Klone zum Zweck der Organspende aufgezogen werden, fasst der Rezensent zusammen. „So ziemlich jeder andere Autor“ hätte aus diesem Sujet die Geschichte einer geglückten oder misslungenen Revolte gemacht, da ist sich der Rezensent sicher. Nicht so Ishiguro. „Rang und Eigenart“ von „Alles, was wir geben mussten“ bestehe darin, dass das ungeheuerliche Geschehen von den „Spendern“ als ganz selbstverständlich hingenommen wird, bemerkt Müller anerkennend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.11.2005

Ganz anders, nämlich unspektakulär und ohne jede skandalisierende Absicht, ist Kazuo Ishiguros Roman „Alles, was wir geben mussten“, ausgefallen. Das liegt nicht nur an den außerordentlichen literarischen Qualitäten des Autors, sondern auch daran, dass es eben kein Buch zum Thema ist, kein „Klon-Roman“, sondern ein Kunstwerk, das mit dem Sonderfall auf den Normalfall zielt. Wenn ein großer Autor über ein Monster schreibt, schreibt er über uns, die wir nicht monströs sind – oder vielleicht gerade doch. Wenn ein Autor wie Ishiguro sich über Klone beugt, dann, damit wir begreifen, wie es ist, wenn wir Klone wären – und was es bedeutet, kein Klon zu sein.

Martin Ebel