Zeit von Rüdiger Safranski. Die Ereignisse gehen, die Zeit kommt. „Lasse ich mich von der Vergangenheit beherrschen oder beherrsche ich sie?“

Rüdiger Safranski, 1945 geboren, Literaturwissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller

Ein Buch über das Leben: Was macht die Zeit mit uns? Und was machen wir aus ihr? Rüdiger Safranski ermutigt uns, den Reichtum der Zeiterfahrung zurückzugewinnen. Jenseits der Uhren, die uns ein objektives Zeitmaß vorgaukeln, erleben wir die Zeit ganz anders: in der Langeweile, bei der Hingabe, bei den Sorgen, beim Blick auf das Ende, streng gegliedert in der Musik und lose gefüllt beim Spiel. Und wieder anders im gesellschaftlichen Termingetriebe, in der beschleunigten Wirtschaftswelt, in den Medien, in der globalen Gleichzeitigkeit. Facettenreich beschreibt Safranski das Spannungsfeld zwischen Vergehen und Beharren und ermuntert uns, aufmerksam mit diesem wertvollen Gut umzugehen.

Wenn ein Tag wie alle ist, heißt es in Thomas Manns »Zauberberg«, so sind alle wie einer und bei vollkommener Einförmigkeit würde das längste Leben als ganz kurz erlebt werden. Kurz erscheint solches vorbei huschendes Leben allerdings nur im Rückblick, im Augenblick jedoch kann es einen langweilen, gerade wegen seiner Flüchtigkeit. Es lässt einen leer zurück in dem Maße, wie die Ereignisse ausdünnen, wird die Zeit auffällig. Es ist, als käme sie aus ihrem Versteck, denn für unsere gewöhnliche Wahrnehmung ist sie hinter den Ereignissen verborgen und wird nie so direkt und aufdringlich erlebt. Ein Riss also im Vorhang, und dahinter gähnt die Zeit. Der Blick auf die Uhr verstärkt die Langeweile noch, denn die Dauer, interpunktiert durch regelmäßige Taktschläge oder die Bewegung des Zeigers, wirdals noch ereignisärmer empfunden und ist kaum mehr auszuhalten, weshalb beispielsweise das stete Tropfen in einersonst leeren Zelle auch als Folter eingesetzt wird.

Seite 22, Safranski, Zeit